Angesichts rauer werdender politischer Debatten in Deutschland stellt sich immer öfter die Frage: Welche Kultur bzw. „Unkultur“ herrscht aktuell in der Politik vor?
Dieser Frage ging das Ludwigsburger Demokratie Institut (LDI) der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg (HVF) nach.
Zur Veranstaltung „KOMPASS POLITISCHER KULTUR – Buchvorstellung mit Podiumsdiskussion“ hatten der Geschäftsführende Direktor des Instituts, Prof. Dr. Volker M. Haug, sowie Co-Direktor Prof. Dr. Arne Pautsch den ehemaligen Umwelt- und Verkehrsminister sowie Staatsminister und langjährigen CDU-Landtagsabgeordneten von Baden-Württemberg Ulrich Müller eingeladen. Dieser stellte sein Ende letzten Jahres erschienenes Buch „Kompass politische Kultur. Verantwortlich Handeln in verwirrenden Zeiten“ vor.
In seinem Buch und bei der anschließenden Podiumsdiskussion mit Nicolas Fink MdL, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg und Prof. Dr. Barbara Holland-Cunz vom Institut für Politikwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen, diskutierte Ulrich Müller, was politische Kultur ausmacht und wie man mit „politischer Unkultur“ umgeht.
Schon bei der Begrüßung der gut besuchten Veranstaltung stellte Prof. Haug heraus, dass der Respekt vor der Verfassung und ihren Institutionen in Deutschland leide und die politische Kommunikation in einem medialen Umbruch stecke. Als Ludwigsburger Demokratie Institut wolle man daher zu dem virulenten Thema und der gesellschaftlichen Debatte einen Beitrag leisten.
Die Erwartungen an und die Enttäuschungen mit der politischen Kultur standen in den nächsten zwei Stunden zur Debatte.
Was ist politische Kultur?
Bei seiner Buchvorstellung definierte Ulrich Müller den Begriff der politischen Kultur, wie er ihn in seinem Buch anwendet. Für ihn bedeutete politische Kultur keine besondere Kultur, sondern die allgemeinen Regeln aus anderen Lebensbereichen: „Was sonst im Leben richtig ist, ist wahrscheinlich auch in der Politik richtig.“
Daher sei die politische Kultur in einer Demokratie auch keiner Klasse zugehörig.
Als zentrale Kategorie in seinem Buch habe er den Begriff der Ganzheitlichkeit ausgemacht. Eine gute, verantwortungsvolle Politik bedürfe eines ganzheitlichen Vorgehens, in dem die Realität in all ihren Strukturen erfasst würde. Wer Politik mache, solle deshalb davor etwas erlebt haben und die Fülle des Lebens in seiner Komplexität kennen, so Müller. Neben der Ganzheitlichkeit brauche es aber auch die Liebe zum Detail.
Die Lust auf politische Teilhabe
Diese Liebe zum Detail nahm Prof. Pautsch als Moderator der Podiumsdiskussion in seiner ersten Frage an Müller auf, als er wissen wollte, wie Müller dazu gekommen sei, sich mit all den Facetten der politischen Kultur bis ins letzte Detail auseinanderzusetzen.
„Ich habe das Gefühl, etwas läuft aus dem Ruder, zum Beispiel im Hinblick auf die Radikalisierung in der Gesellschaft, “ so der Minister a.D.
Es stelle sich die Frage, wie eine andere politische Kultur entwickelbar sei, ergänzte die Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Barbara Holland-Cunz. Wichtig sei es deshalb, der Bevölkerung Lust auf politische Teilhabe zu machen.
Landtagsabgeordneter Nicolas Fink unterstrich dies, indem er sich dafür aussprach, dass es im Internet bezogen auf die Kommunikation dieselben Regeln wie auf einem Marktplatz und eine schnelle Rechtsprechung bei Anzeigen brauche.
Moderator Prof. Pautsch wollte daraufhin von Müller wissen, ob es auch in der Politik eine andere Fehlerkultur benötige.
Dieser bejahte und sprach sich dafür aus, dass Politiker:innen Fehler eingestehen müssten, dies aber durch die Bevölkerung auch zu honorieren sei. Denn Politiker:innen sollten aufgrund ihres Berufs nicht mehr aushalten müssen als andere, da den Job sonst niemand mehr machen wolle.
Eine zersplitterte Parteienlandschaft als Problem?
Alle Diskutant:innen einigten sich darauf, dass die Bürger:innenbeteiligung an der Politik zentral sei, um die repräsentative Demokratie zu stärken.
Dies brachte den Moderator zu der Frage, ob der Verlust der politischen Kultur auch auf die zunehmende Fragmentierung der Parteienlandschaft zurückzuführen sei.
Dies bejahten der Abgeordnete Fink sowie der ehemalige Politiker Müller. Dass die ehemaligen Volksparteien, deren Kandidatinnen viele Menschen hinter sich sammelten, nicht mehr als solche zu bezeichnen seien und stattdessen die Menschen für seriöse politische Argumentation unerreichbarer geworden seien, werteten sie als Problem.
Dahingegen argumentierte Prof. Holland-Cunz, dass in den Parteien immer nur ein kleiner Teil der Bevölkerung auch Mitglied gewesen wäre und die Repräsentation daher nie groß war. Stattdessen müsse man mit den geschrumpften Parteien nun politisch arbeiten.
Abschließend lenkte Müller den Blick ins Ausland und fasste zusammen, welche Probleme auch in anderen Ländern zu erkennen seien: Die Kommunikation in Sozialen Medien und im Internet funktioniere vor allem über Manipulation und verkürzte Darstellungen. Dieses Problem hätten alle Länder und das gelte es anzugehen, um den Menschen wieder Lust auf Demokratie zu machen.